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Zur Messung von "Erfolg" in der beruflichen Rehabilitation

von Willi Brand u. Andrea Naust-Lühr, Ausg. 1-2000

 
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Qualitätskriterium: Orientierungsphasen  Umsetzungsempfehlung: Berufsorientierung  Umsetzungsempfehlung: Bewerbungsberatung  Basistexte: Orientierungsphasen


Neben Vertretern aus BFWen und BBWen, dem BIBB und anderen Einrichtungen wird auch das Transfer-Team ghbRE mit einem Beitrag auf den Hochschultagen Berufliche Bildung 2000 in Hamburg vertreten sein. Unter dem Titel "Dimensionen des Erfolgs beruflicher Rehabilitation und die Schwierigkeiten, sie methodisch zu erfassen" sollen Überlegungen angestellt werden, wie "Erfolg" sich sinnvoll und methodisch nachvollziehbar in der Rehabilitationsarbeit der BFWe bestimmen lässt. Die Bedeutsamkeit für die Praxis liegt einerseits auf der Hand, schließlich ist das, was unter "Erfolg" zu verstehen ist, sozusagen der Wegweiser für den Reha-Alltag. Andererseits wird mancher einwenden, dass die Erfolgsfrage so gar nicht mehr gestellt werden muss, weil sie in den letzten Jahren immer wieder beantwortet wurde: Eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme ist dann erfolgreich, wenn sie zu einer Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt führt.

Auf den ersten Blick ergibt diese Zielvorgabe ein klares Erfolgskriterium; auf Nachfragen wird es auch von Mitarbeitern der Berufsförderungswerke immer wieder genannt. Will man jedoch Entscheidungen über die konkrete Gestaltung der Arbeit in den Berufsförderungswerken oder Vergleiche zwischen verschiedenen Häusern auf der Grundlage dieses Erfolgskriteriums begründen, ergeben sich schnell weit reichende Fragen. Diese Fragen sind theoretischer und methodischer Natur; aber besonders gravierend stellen sie sich dann, wenn über das konkrete Handeln im Rehabilitationsalltag entschieden werden soll. Kann das vermeintlich so klare Erfolgskriterium Vermittlung hier und heute in der Rehabilitationsarbeit Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen eindeutig begründen oder gleicht der Mitarbeiter in der beruflichen Rehabilitation nicht eher dem Piloten eines fliegenden Teppichs, der lediglich hoffen, aber nicht gewiss sein kann, mit seinen Steuerbefehlen die wilden Flugbewegungen seines Vehikels auf das Ziel auszurichten? (Das Bild stammt übrigens von einem erfahrenen Kollegen aus einem BFW.) In dieser Situation wird es gut sein, Zwischenziele als Orientierungsmarken zu setzen, an denen "Erfolge auf dem Wege" erkennbar werden, die dann hoffentlich zur Vermittlung beitragen.

Probleme bei der Operationalisierung - Was heißt "Vermittlung"?

Wenn man den Erfolg der beruflichen Rehabilitation an der Vermittlung messen will, muss man zunächst inhaltlich klären, was Vermittlung bedeutet - und steckt dabei schon mitten im Operationalisierungsproblem: Was heißt "Vermittlung"? Ist berufliche Integration gleichbedeutend mit "sozialversicherungspflichtig in Arbeit sein?" Bedeutet jeder Arbeitsplatz, gleich ob er dem Berufsbild entspricht, ob er befristet ist oder nicht eine gelungene Integration?

In Untersuchungen zum Erfolg der beruflichen Rehabilitation wurde die Abhängigkeit der relativen Häufigkeit der Vermittlung von definierenden Kriterien nachgewiesen. So zeigten Plath und Blaschke, wie sehr sich der Integrationserfolg reduziert, wenn neben der bloßen Erwerbstätigkeit weitere relevante Integrationsmerkmale erfüllt werden müssen: In der Befragung gaben 96% der männlichen und 94% der weiblichen Rehabilitanden an, nach Ausbildungsende mindestens einmal in Arbeit gewesen zu sein; zum Befragungszeitpunkt hatten nur noch 81% der Männer und 67% der Frauen eine Arbeit. Bei 74% der Männer und bei 54% der Frauen war dies eine Vollzeitstelle, die bei lediglich 65% der Männer und bei 47% der Frauen unbefristet war. Nahm man das Kriterium "ausbildungsadäquater Berufseinsatz" noch hinzu, verringerte sich der Integrationserfolg noch einmal und traf jetzt nur noch für 43% der Männer und für 33% der Frauen zu.

BFW-Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen beschrieben in einer ad-hoc-Befragung durch uns, dass auch aus ihrer Sicht der Erfolg beruflicher Rehabilitation sich nicht nur in der bloßen Erwerbstätigkeit zeigt. So bezeichneten sie berufliche Rehabilitation u. a. als gelungen, wenn

- eine dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt erfolgt.

- Rehabilitanden mit ihrer Arbeit zufrieden sind.

- Rehabilitanden ihren Arbeitsplatz auch längerfristig halten können, d.h. z. B., die dafür notwendige Sozialkompetenz aufbauen konnten.

- Rehabilitanden, die Auswirkungen ihrer Behinderung am Arbeitsplatz und im sonstigen Leben nicht mehr spüren.

Je nachdem wie das Operationalisierungsproblem gelöst wird, wird die Höhe des Vermittlungserfolgs ausfallen.

Probleme der Reliabilität: Wie läßt sich "Vermittlung" zuverlässig erfassen?

Hat man Erfolgskriterien gefunden, die operational sind und Gültigkeit beanspruchen können, stößt man gleich an die nächste Hürde, wenn man erfolgsbezogene Vergleiche zwischen verschiedenen BFWen oder Lehrgängen anstellen will. Vergleiche setzen voraus, dass die Vermittlungserfolge zuverlässig erfasst werden. Das Problem der Reliabilität (Zuverlässigkeit) stellt sich bei der Bewertung des Rehabilitationserfolges zwangsläufig, da der regionale Arbeitsmarkt und die spezifische Arbeitslosenquote in einzelnen Berufsbildern die Vermittlungserfolge maßgeblich beeinflussen. Diese Einflussfaktoren weisen beträchtliche Differenzen auf und ändern sich im Zeitablauf (vgl. Wöhrl 1988). Eine weitere Störgröße ergibt sich aus folgender Entwicklung: In den Aussagen der Mitarbeiter von BFWen und in einschlägigen Befunden zeigt sich eine deutliche Zunahme von Rehabilitanden mit besonders schweren Leistungseinschränkungen. Die veränderten Voraussetzungen der Rehabilitanden hinsichtlich ihrer kognitiven Fähigkeiten, des Ausmaßes an Mehrfachbehinderungen und an psychischen Beeinträchtigungen sind methodisch schwer zu kontrollieren und schränken erfolgsbezogene Vergleiche im Zeitverlauf ein.

Die prozessuale Dimension des Erfolgs

Die bisherigen Überlegungen betrachteten das Erfolgskriterium "Vermittlung in Arbeit" nach Abschluss der Maßnahme. Daneben gibt es eine prozessuale Dimension des Erfolgs, die in der gegenwärtigen Diskussion jedoch zu sehr in den Hintergrund gerät.

Im Hinblick auf die prozessuale Dimension des Erfolgs ist festzustellen, dass das Erfolgskriterium Vermittlung nur begrenzt das Handeln der am Rehabilitationsprozess Beteiligten anleiten kann. Angesichts der Komplexität des Rehabilitationsprozesses und der vorhandenen Wissenslücken ist es nicht möglich, heute einzelne Rehabilitationshandlungen (z. B. psychologische Interventionen) sicher damit zu begründen, dass sie in zwei Jahren zum Vermittlungserfolg führen. Das von vielen weitgehend unkontrollierten Einflussgrößen abhängige Rehabilitationsgeschehen lässt sich nicht auf eine überschaubare Zahl von linearen Kausalketten zurückführen. Vielmehr handeln die Beteiligten aufgrund von Vermutungen und subjektiven Theorien, wenn sie zum Erfolg der Rehabilitationsmaßnahme beitragen wollen. Handeln, d. h. bewusstes, zielgerichtetes Verhalten ist nur möglich, wenn - trotz aller Unsicherheiten - Zwischenziele auf dem zweijährigen Weg zum Abschluss gesetzt werden. Sie sind unerlässliche Orientierungsmarken für das Alltagshandeln der Rehabilitanden und der Mitarbeiter.

In den Aussagen der Mitarbeiter, die wir nach ihrem Verständnis von Rehabilitationserfolg befragten, kommt die prozessuale Dimension des Erfolgs oft nachdrücklich zum Ausdruck. Prozessuale Erfolge werden u.a. darin gesehen, wenn:
- die Gesundheit der Rehabilitanden sich bessert oder stabilisiert.
- Rehabilitanden Defizite in der Persönlichkeit, im Verhalten aufarbeiten und mehr Eigenverantwortung übernehmen können.
- Rehabilitanden sich mit ihrem Berufsbild identifizieren.
- Rehabilitanden mit Belastungen angemessener umgehen können.
- Rehabilitanden die Prüfung erfolgreich bestehen.
- Rehabilitanden, die durch ihre Erkrankung sehr belastet sind, die 2 Ausbildungsjahre überhaupt durchhalten.

Diese "Erfolge auf dem Wege" der Rehabilitation haben tragende Funktionen für das Handeln und für den Rehabilitationsverlauf. Sie motivieren und steuern das Handeln von Mitarbeitern und Rehabilitanden, sie stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen, sie bewahren viele davor, alle ihre Erwartungen angsterfüllt auf ein fernes Ende der beruflichen Rehabilitation zu konzentrieren und sie können helfen, auch nach den ersten Misserfolgen bei der Bewerbung weiter durchzuhalten.

"Ziele auf dem Wege" sind auch Ergebnis der Interaktion von Rehabilitanden und Mitarbeitern. Das, was erfolgreiches Handeln ausmacht, wird oft in dieser Interaktion bestimmt: Mitarbeiter und Rehabilitanden werden Erfolge an gemeinsam gesteckten Zielen messen, die im Prozess der Rehabilitation entwickelt werden. Der Zusammenhang mit der Vermittlung muss nicht immer stringent erkennbar sein; er kann indirekt gegeben sein, z. B. durch die Förderung einer vertrauensvollen Kooperation. Würde über die Konzentration auf die "Vermittlung in Arbeit" die prozessuale Dimension des Rehabilitationserfolgs vernachlässigt, würde die Rehabilitation auch im Hinblick auf das Vermittlungsziel Schaden nehmen .

Möglichkeiten der methodischen Erfassung prozessualer Erfolge

Plath und Blaschke (1999) stellen fest, dass für die Erfolgsermittlung und die Evaluation von Programmen und Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation bisher noch keine unstrittigen Konzepte und Verfahren entwickelt werden konnten. Sie regen u. a. an, durch fallbezogene Analysen, in denen Daten aus verschiedenen Erhebungszusammenhängen (z.B. Berufsfindung, Arbeitserprobung, medizinische Eingangsuntersuchung, Teilnehmerbefragungen zu verschiedenen Zeitpunkten der Ausbildung, Praktikumsberichten) kombiniert werden, zu Einschätzungen des Rehabilitationserfolgs zu kommen. So könnten z.B. auch biographische Analysen hinzugezogen werden, um individuelle Begründungs- und Zielvorstellungen für eine berufliche Rehabilitation aufzudecken (vgl. Vonderach 1997). Bisher gibt es wenige einschlägige Arbeiten; deshalb ist nicht damit zu rechnen, dass Rehabilitanden und Mitarbeiter schon bald ihr Handeln im Rehabilitationsalltag an Wissen orientieren können, das zuverlässig und gültig in umfassender Weise Erfolgsfaktoren beschreibt.


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